Ich
habe euch aufgespielt, und ihr habt nicht getanzt!
Ich
bekam einmal zu einem bestimmten Anlass einen wunderschönen
Holzschnitt geschenkt. Er stellt eine Gruppe finsterer Gestalten dar,
unbeweglich, lustlos, starr. Vor ihnen tanzt und spielt beschwingt
ein Flötenspieler. Darunter mit Bleistift der Satz: Ich habe euch
aufgespielt, und ihr habt nicht getanzt!
Das
Bild sollte an das Gleichnis erinnern, das sowohl Lukas als auch
Matthäus in ihren Evangelien überliefern (Lukas 7,31-35; Matthäus
11,17-19). Kinder möchten spielen und machen ihren Gespanen auch
entsprechende Vorschläge: »Spielen wir doch Hochzeit!« , »Spielen
wir doch Beerdigung!« Aber von den anderen Kindern kommt nie eine
Reaktion; sie haben einfach keine Lust. Ihnen sind die Vorschläge zu
uninteressant.
Hier
und da regt mich dieses Bild zur abendlichen Gewissenserforschung an.
Ich frage mich dann, wo und wann hat mir heute der Flötenspieler zum
Tanzen aufgespielt? Und ich denke an ganz konkrete Gegebenheiten, bei
denen ich ebenso abweisend und finster aus der Wäsche geguckt habe
wie diese traurigen Gestalten auf dem Holzschnitt. Ich denke an die
Nachbarin; ihr krebskranker Mann ist im Krankenhaus; aber wenn ich
der in die Quere komme, lässt sie mich vor einer halben Stunde nicht
wieder los. Oder ich denke an meinen Kollegen; er hat mich zum Apero
eingeladen, aber seine immer gleichen Witze kann ich schon nicht mehr
hören. Ich denke an die Obdachlose, die vor der Post ihre komischen
Zeitschriften verkauft. Ich habe so getan, als ob ich die Zeitschrift
schon längst hätte. Ich denke an die kleine Gruppe engagierter
Leute, die mir zumutete, mit ihnen zusammen an die Demonstration für
die Sans-Papier zu gehen... Jedes Mal kam von mir ein gelangweiltes
Abwinken. Ich bemerkte nicht, dass es jedes Mal der Flötenspieler
war, der mir zur Hochzeit aufspielte.
Dann
aber gab es doch Momente, an denen ich mitgetanzt habe. Es waren die
schönsten des Tages.
Was
mir das Gleichnis sagen will? Vielleicht dieses: Spiel doch mit! Lass
dich ein auf den Reigen! Geh mit zum Fest, wenn dich der
Flötenspieler doch so liebevoll einlädt!
Denn
die Zeit zum Feiern ist da.
Hermann-Josef
Venetz
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