lundi 30 novembre 2015

Bleibt!



Die Abschiedsreden im Johannesevangelium (14-17) klingen sehr ruhig und abgeklärt. Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch, sagt Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern. Eine traute Idylle steigt in uns auf.
Wenn dann aber innerhalb weniger Verse neunmal vom bleiben die Rede ist, darf man sich zu Recht fragen, ob das Bleiben für viele der damaligen Christinnen und Christen nicht zum Problem geworden ist. Aus dem vermeintlich so ruhig dahinplätschernden Evangelium können wir entnehmen, dass die Gemeinde, die der Evangelist vor Augen hat, deutliche Risse aufweist – wenn sie nicht schon auseinandergebrochen ist.
Da gab es einige, die im gekreuzigten und auferweckten Jesus von Nazaret so etwas wie einen neuen Mose erkannten. Im Ersten Testament wurde er ja verheissen: der Prophet wie Mose, der dem Volk alles sagen wird, was Gott ihm aufgetragen hat, ein Prophet auch, der Zeichen und Wunder wirken wird wie Mose (Deuteronomium 18,18). Und mit leuchtenden Augen erzählten sie, wie Jesus mit wenigen Broten mehrere tausend Leute gesättigt hat.
Da gab es andere, denen das nicht genügte. Nicht Jesus von Nazaret war für sie entscheidend, nicht sein Leiden und Sterben und Auferstehen, erst recht nicht die Wunder. All das ist höchstens für die ‚einfachen Gläubigen’ wichtig. Für die wahrhaft ‚Eingeweihten’ ging es einzig um den Christus, der das Wort ist, die Wahrheit, das Leben, in das sie hineintauchen konnten. Es war fast so, als ob sie von dieser Welt, von der sie eh nicht viel hielten, bereits abgehoben waren. Sie sahen sich zu Höherem und Besserem bestimmt, lebten jetzt schon die Vollendung und blickten etwas mitleidig, wenn nicht gar verachtend auf diejenigen herab, die über die Alltäglichkeiten des Lebens nicht hinauszusehen vermochten.
Beide Gruppierungen sprachen einander den ‚richtigen Glauben’ ab.
Der Evangelist Johannes wollte in erster Linie nicht über den ‚richtigen Glauben’ entscheiden. Er möchte, dass alle bleiben, so unterschiedlich ihre Glaubensüberzeugungen auch sind. Er möchte, dass sie beieinander bleiben und von einander lernen und für einander da sind.
Nicht der ‚richtige Glauben’ ist entscheidend, über den sich so leicht reden lässt, sondern das Bleiben, das Ausharren – auch und gerade in all den schweren Glaubensnöten, die uns heimsuchen.
Hermann-Josef Venetz

jeudi 26 novembre 2015

Schon und noch nicht




 Die Spannung von schon und noch nicht ist ein Merkmal des christlichen Glaubens. Auch unsere Feste und Feiern sind von dieser Spannung geprägt.
An Weihnachten singen wir: Christ, der Retter ist da.
An Ostern verkünden wir aller Welt: Gott hat Jesus von den Toten auferweckt.
An Himmelfahrt: Er sitzt zur Rechten Gottes, des Vaters.
An Pfingsten: Er hat und seinen Geist gesandt.
Wir schauen also einerseits auf das zurück, was bereits eingetroffen ist, gleichzeitig müssen wir aber auch feststellen, dass das, was schon geschehen oder gegeben ist, noch nicht in ganzer Fülle da ist.

Andererseits lassen uns unsere Feiern nicht nur auf das zurückblicken, was schon <geschehen ist, sondern stiften in uns auch die Hoffnung auf das, was noch auf uns zukommt.
So blicken wir an Weihnachten wohl auf die Geburt des Messias zurück, aber gleichzeitig bringen wir unsere Hoffnung auf das endgültige Kommen des Retters zum Ausdruck.
Ostern ist nicht nur die Erinnerung an die Auferweckung des gekreuzigten Jesus; wir feiern die letztgültige Überwindung des Todes und die Auferweckung aller Verstorbenen.
Himmelfahrt ist nicht ein einmaliges Ereignis in der Vergangenheit; das Fest gibt der Sehnsucht Ausdruck, dass derjenige, der zur Rechten Gottes sitzt, für immer bei uns sein wird.
Das Pfingstfest lässt uns wohl an den Sturm und an die feurigen Zungen erinnern, die auf ‚alle Brüder und Schwestern’ herabgekommen sind, aber es bestärkt uns auch in der Erwartung, dass wir und alle Welt vom Feuer des Geistes erfasst und erfüllt werden.

In der Eucharistiefeier wird dieses Geheimnis gut zusammengefasst:
Deinen Tod, o Herr, verkünden wir,
Und deine Auferstehung preisen wir,
Bis du kommst in Herrlichkeit.

Noch kürzer ein in der frühen Kirche weitverbreiteter Ausruf:
Maranatha !
Was so viel bedeutet wie:
Unser Herr kommt !
oder
Komm, Herr Jesus !
(vgl. 1. Korintherbrief 16,22 und Offenbarung 22,20)

Hermann-Josef Venetz



mercredi 18 novembre 2015



Tod, wo ist dein Stachel?


Seit altersher bringt uns der Monat November den Verstorbenen und dem eigenen Tode nahe.
Die uns im Glauben vorangegangen sind, so nennt die Kirche in ihren Gebeten die Verstorbenen; Paulus nennt sie die Toten in Christus (1. Thessalonicherbrief 4,1), und Jesus sagt den Sadduzäern, die sich über die Auferstehung lustig machen: Für ihn, Gott, sind alle lebendig (Lukas 20,38).
Keine andere Erfahrung und keine Wirklichkeit fordert unseren Glauben so sehr heraus wie der Tod. Der Glaube darf diese Wirklichkeit weder verdrängen noch übertünchen. Wer sich zum gekreuzigten Messias Jesus bekennt, kann angstlos dem Tod ins Gesicht schauen, nicht nur dem sanften, erlösenden Tod, sondern auch dem Tod, der uns in verschiedenen und erschreckenden Fratzen entgegentritt. Seitdem Gott sich selbst in Jesus Christus in die Abgründe des Leidens und Sterbens hineinbegeben hat, hat der Tod alles Fluchwürdige und Entsetzliche verloren. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? – so fragt Paulus (1. Korintherbrief 15,55)
Oder auch so gefragt: Auf was vertraue ich, wenn es mit mir zu Ende geht?
- Auf ein Leben, das nach dem Tod irgendwie weitergeht?
- Auf eine unsterbliche Seele, jenem Bestandteil meiner selbst, der unzerstörbar, weil geistig ist?
- Auf eine Reinkarnation, eine Art Wiedergeburt, die mir auch weiterhin die Möglichkeit der Selbstentfaltung eröffnet?
- Auf meine guten Werke, um die ich mich zeitlebens redlich bemüht habe?
- Auf ein freundliches Nichts, das mich gnädig auflöst?
Was mich anbelangt: ich möchte glauben und vertrauen dürfen, dass Gott sein liebendes Ja, das er mir einmal zugesagt hat, auch durch mein Scheitern durchhält, auch durch mein Zweifeln und Verzweifeln, auch durch mein Sterben. Oder – um es ganz einfach zu sagen –: ich möchte glauben und vertrauen, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Stärker als mein und auch dein Tod. Stärker als unser aller Tod.

Hermann-Josef Venetz

Amnestie
(nach Matthäus 18,23-35)


Ein Knecht stand bei seinem Herrn in der unvorstellbar riesigen Schuld von 10 000 Talenten. 1 Talent war zur Zeit Jesu die grösste Geldeinheit, und 10 000 war die grösste Zahl, mit der man noch rechnete – eine grössere Schuld kann es also gar nicht geben.

Auf inständiges Bitten des Knechtes erlässt ihm der Herr die ganze Schuld! Aber dieser eben amnestierte Knecht bringt es nicht fertig, seinem Mitknecht die lächerliche Schuld von 100 Denaren zu erlassen – das sind ziemlich genau der millionste Teil der 10 000 Talente – und das obwohl ihn dieser nicht weniger inständig um Stundung bittet. Das ist ein Skandal!


Christinnen und Christen – ja eigentlich alle Menschen – stehen als Amnestierte in der Welt. Sie sind frei. Sie brauchen sich nicht mehr zu ängstigen. Sie brauchen sich von der Last ihrer Schuld nicht aufreiben, von Schuldkomplexen nicht versklaven zu lassen. Die Frage ist nur, was sie mit ihrer Freiheit tun. Ob andere etwas von dieser Amnestie zu spüren bekommen: die Asylanten, die verschuldeten Länder, die Verleumder? Oder ob der befreiende Zug der Amnestie bei ihnen selbst ans Ende gelangt?

Wo die Amnestie, das bedingungslose Verzeihen, nicht weitergeht, wird es für die Menschen und die Welt keine Zukunft geben.

Hermann-Josef Venetz