jeudi 1 octobre 2015

BIBEL UND LITURGIE (1)


Ein Blick auf Jesus

Mit der Liturgie haben wir unsere liebe Not. Das überrascht mich nicht, wenn ich feststellen, dass es den ersten Christinnen und Christen nicht anders ergangen ist. Warum eigentlich? Ich denke, es liegt (wieder einmal) an Jesus. Im Lesen der Evangelien mache ich folgende drei Beobachtungen.

1. Als frommer Jude nahm Jesus an den liturgischen Feiern und Gottesdiensten seiner Zeit teil. Er ging gewohnheitsmässig in die Synagoge (Markus 3,1 u.ö.), suchte den Tempel auf  (12,35 u.ö.), feierte mit den Seinen das Passahmahl (14,12ff), sang und betete die liturgischen Lieder und Gebete (14,26) und kannte und vollzog die liturgischen Gesten: Er warf sich nieder (14,35), er erhob die Hände, er blickte zum Himmel, er sprach das Segensgebet (6,41; 7,34). Seine Gefolgschaft verstand ihn als Meister des Gebets: Er sollte die Seinen beten lehren (Lukas 11,1). All diese Szenen zeigen Jesus in der guten alten Tradition der Gottesdienste seiner Zeit.
2. Ein zweiter Blick auf Jesus von Nazaret sagt mir aber auch, dass er den Gottesdiensten und Liturgien seiner Zeit nicht unkritisch gegenüberstand. Es kam vor, dass er beim Gottesdienst am Sabbat die Akzente anders setzte, so wenn er den Mann mit der gelähmten Hand in die Mitte rief und ihn heilte (Markus 3,1-6) oder die Sorge um die Eltern als wichtiger ansah als die Opfergabe (7,6-13). Das sichtbare Sich-hin-Stellen zum Gebet in den Synagogen und an den Strassenecken entlarvte er als Schauspielerei (Matthäus 6,5). Vom Herr-Herr-Sagen, von Exorzismen und Wunderwirken hielt er nicht eben viel (7,21-23). Sein machtvolles Auftreten im Tempel und sein prophetisches Wort gegen das Gotteshaus haben viele Menschen damals vor den Kopf gestossen (Markus 11,15-19; 14,55-58). Auch hier stand Jesus in einer guten alten Tradition: in der Tradition der Propheten, die mit ihrer Kritik am Tempel und an den Gottesdiensten nicht sparten (vgl. z.B. Amos 5,21-27; Jeremia 7,1-11; Jesaia 58).
3. Und wenn ich noch einen weiteren Blick auf Jesus von Nazaret werfe, stelle ich eine gewisse ‚liturgische Kreativität’ fest: Er umarmt Kinder, legt ihnen die Hände auf und segnet sie (Markus 10,16) – Gesten, die liturgisch anmuten. Wie Liturgien hören sich auch die Berichte von den Blindenheilungen an (Markus 8,22-26; Lukas 18,35-43). Der Einzug Jesu in Jerusalem trägt die Züge einer Prozession (Markus 11,1-11). Das Letzte Mahl mit den Jüngern berichtet von Gesten und Deuteworten, die damals ungewohnt waren (Markus 14,22-25).

Das alles ist jetzt vielleicht etwas verwirrend, aber es passt doch eigentlich recht gut in das Bild, das uns die Evangelien von Jesus zeichnen: sein Eingebundensein in das Volk, zu dem er gesandt ist, das Prophetische, ohne das er gar nicht zu verstehen ist, das Eigenständige, das immer wieder überrascht. Ist es so verwunderlich, wenn auch die ersten christlichen Gemeinden und ihre Gottesdienste ähnliche Züge tragen?

Hermann-Josef Venetz


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