Wie
können wir heute, im 21. Jahrhundert, Gottesdienste feiern, so dass
alle Mitfeiernden angesprochen sind? Diese Frage stellte sich eine
Gruppe von Frauen und Männern, die für die Gestaltung und
Durchführung von Gottesdiensten verantwortlich sind. Ratlosigkeit
machte sich breit. Von den verschiedenen Erfahrungen, die geäussert
wurden, gab mir am meisten die eines Pfarrers zu denken.
Zu
Beginn des Gottesdienstes – so berichtete er – singen wir nach
der gegenseitigen Begrüssung ein Lob- und
Danklied. Dann kommt das Grosse
Loslassen
über uns. Wir werden doch von so vielem gefangen gehalten oder
bedrängt: von Sorgen, häuslichen und beruflichen Verpflichtungen,
von Eitelkeiten, von Enttäuschungen, von Erwartungen, von
Beleidigungen, von Kränkungen – ja, es ist unmöglich alles
aufzählen, was uns vom Eigentlichen und einzig Wichtigen ablenkt und
abhält. Aufzählungen wirken langweilig und oberflächlich, ganz
abgesehen davon, dass man auch nicht alles auf einmal loslassen kann.
So nehmen wir jeweils nur ein Problemfeld heraus. Zum Beispiel
dieses: Jeden Tag werden wir enttäuscht: von unserer Nachbarin, von
unserem Partner, von uns selbst – weil wir mit unserer Arbeit nicht
fertig werden, weil wir zu ungeduldig sind und und und. Um all diese
Enttäuschungen loslassen zu können, brauchen wir Zeit, viel Zeit
und viel Ruhe. Diese wohltuende Stille markiert den Beginn des
Gottesdienstes. Wir lassen
diese Enttäuschungen nicht nur, wir über-lassen
sie Gott. Dort sind sie gut aufgehoben.
Im
Grunde genommen können wir alles lassen; alles, was uns
ablenkt oder gefangenhält oder quält. So werden wir leer und frei.
In der Liturgie – so der Pfarrer – folgt dann dieser stillen Zeit
des Lassens ein Gebet.
Die
Idee finde ich gut. Wir haben so vieles zu lassen, von so vielem uns
leer zu machen. Vielleicht können wir so Gott Raum geben.
Die
Frage, die sich mir im Nachhinein stellt, ist die: Sollten wir nicht
einmal versuchen, auch Gott loszulassen? Ihn zu lassen, wie er
ist, ihn frei zu lassen, uns von ihm kein Bild zu machen, ihn nicht
vor den Karren unserer Interessen zu spannen, ihn nicht zu
vereinnahmen?
Der
Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) fordert dazu auf,
Gott
um Gottes Willen zu lassen.
In
diesem Sinn nennt Gott dem Mose am brennenden Dornbusch seinen Namen:
Ich
bin, der ich bin,
das
heisst: ‚Ich bin für euch da, ich gehe mit euch, ich bin bei euch.
Bitte, lasst mich der sein, der ich bin!’
Meister
Eckhard fügt seiner Forderung Gott um
Gottes Willen zu lassen noch hinzu:
damit
er mir bleibe.
Nur
wenn wir Gott lassen,
kann er wirklich unser
Gott sein.
Hermann-Josef
Venetz
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