lundi 25 mai 2015

Flüchtlinge in der Mitte
Jedes Mal wenn ich die Bibel öffne, bin ich überrascht, wie oft dort Menschen, ja ganze Sippen und Völkerschaften auf der Flucht sind. Von daher versteht sich auch, dass in der alttestamentlichen Gesetzgebung so oft von Flüchtlingen und Fremden die Rede ist. Ja, man hat den Eindruck, als ob das Auf-der-Flucht-Sein und Fremd-Sein zum Wesen der jüdisch-christlichen Tradition gehören. Das schlägt sich sogar im Glaubensbekenntnis nieder.

Das fünfte Buch Mose, es wird auch »Deuteronomium« genannt, ist eine Sammlung von Reden, in denen Mose das Volk Israel, nachdem es während vierzig Jahren auf der Flucht war, auf das Sesshaftwerden im Gelobten Land vorbereitet. Der Abschnitt, den ich vor Augen habe, erinnert an eine Liturgie, in die hinein ein Glaubensbekenntnis eingebettet ist  (26,1-11):
Wenn du das Land, das der Ewige, euer Gott, euch geben will, in Besitz genommen und dich darin eingerichtet hast, dann sollst du die ersten Früchte deiner Ernte in einen Korb legen… und vor Gott bringen. Und sollst vor dem Ewigen, deinem Gott, folgendes Bekenntnis ablegen:
Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Als er am Verhungern war, floh er mit seiner Familie nach Ägypten und lebte dort als Fremder. Mit einer Handvoll Leuten kam er hin, aber seine Nachkommen wurden dort zu einem großen und starken Volk. Die Ägypter behandelten uns schlecht, machten uns rechtlos und zwangen uns zu harter Arbeit. Da schrien wir zum Gott unserer Väter, und er hörte uns und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis. Er führte uns mit starker Hand … aus Ägypten heraus und brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, das von Milch und Honig überfliesst. Und siehe, nun bringe ich hier die ersten Erträge von den Früchten des Landes, das du, Gott, mir gegeben hast…
Den Bildern, mit denen die Tragik der Flucht beschrieben wird, begegnen wir jeden Tag in unseren Medien: Hunger, Obdachlosigkeit, Fremdheit, Rechtlosigkeit, Zwangsarbeit, Bedrängnisse aller Art.
Ebenso sehr beeindrucken mich aber auch die Äusserungen am Ende der Ausführungen:
Wenn du den Korb mit den Früchten des Landes vor den Altar gestellt hast, sollst du dich vor Gott niederwerfen. Dann sollst du fröhlich sein und dich freuen über alles Gute, das dein Gott dir und deiner Familie gegeben hat: du, die Leviten und die Fremden in deiner Mitte.
Sich mit den Fremden in unserer Mitte freuen können, ist nicht so sehr eine Zumutung als vielmehr eine Verheissung.

Hermann-Josef Venetz

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