samedi 15 février 2014

Ein Plädoyer für das Geniessen




 Ältere unter uns mögen sich vielleicht erinnern, dass in unserem Religions- und Ethikunterricht der Verzicht eine große Rolle spielte und dass alles, was mit Lust und Genuss zu tun hatte, verdächtig war. Ja, selbst über jedes unnütze Wort hatten wir, wenn es denn soweit ist, Rechenschaft abzulegen. Mit dem ‚Willen Gottes’ wurden eher Kreuz und Leid in Zusammenhang gebracht als Fest und Tanz.
Im Unterschied dazu kann man im Judentum eine auffallend grosse Lebensbejahung und Kreativität feststellen. Woher das kommt, ist schwer zu sagen. Vielleicht hat sich das jüdische Volk trotz oder wegen seiner Leidensgeschichte  ein feineres Gespür und eine grössere Dankbarkeit für die kleinen Freuden und Belustigungen des Lebens bewahrt. Tatsächlich fanden und finden in den Diskussionen der jüdischen Gelehrten Prüderie und Lustfeindlichkeit kaum Platz; dagegen spielte das Vergnügen eine umso größere Rolle. Kurz nach der Zeitenwende taten berühmte und sehr ernste jüdische Gelehrte diesen Ausspruch: Wenn die alte Welt zur Neige geht und Gottes neue Welt anbricht muss der Mensch Rechenschaft ablegen über alles, woran sein Auge Gefallen fand und was er dennoch nicht genoss.
Gewiss haben die Gelehrten damals nicht nur an das Auge gedacht. Gefallen finden wir doch auch an einem schönen Musikstück, an einem guten Essen, am Duft des Waldes, an einem erheiternden Witz, an der Unbeschwertheit der Kinder, am Übermut der Jugendlichen... Wir haben einmal Rechenschaft abzulegen über alles Schöne und Vergnügliche, das wir nicht genossen haben.
Es ist ja nicht so, dass Jesus nur Selbstverleugnung und Verzicht gepredigt hätte. Wie oft hat er doch mit verschiedenen Leuten gegessen und getrunken (vgl. Markus 2,15-17 u.ö.). Kindern legte er die Hände auf und umarmte sie (vgl. Markus 10,16). Sein Hinweis auf die Vögel des Himmels und auf die Lilien des Feldes (Matthäus 6,25-34) und die vielen Gleichnisse, die von den Wundern der Natur inspiriert sind, machen es deutlich: Jesus hat das alles nicht nur gesehen, er hat es auch genossen und gekostet. Und zu seinem Gedächtnis sollen diejenigen, die ihm vertrauen, zu einem Mahl zusammenkommen mit Brot und Wein...
Glauben bedeutet doch auch, sich von der Lebensfreude Jesu anstecken zu lassen.

Hermann-Josef Venetz

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