samedi 12 octobre 2013

Wörtlich?



Wenn wir beim Lesen der Bibel etwas nicht verstehen oder Wörter und Sätze uns übertrieben oder gar absurd vorkommen, sagen wir gerne: „Das ist nicht wörtlich zu verstehen.“ Viel hilft eine solche Aussage freilich nicht, weil so ja immer noch nicht gesagt ist, wie es denn zu verstehen ist. 
 
Jeden Tag lesen oder hören oder sagen wir Sätze, die nicht wörtlich zu verstehen sind, und doch verstehen wir sie sehr gut. Beispiele:
Beim Hören dieser Nachricht, standen mir die Haare zu Berge.“
Bei diesem Fussballspiel kam der Käpten überhaupt nie zum Zuge.“
Für den Sonnenaufgang kamen wir zu spät.“
Als mein tot geglaubter Freund kam, bin ich buchstäblich aus allen Wolken gefallen.“
Über dem ganzen Land brütete eine unerträgliche Hitze.“ 
 
Niemand wird diese Aussagen wörtlich nehmen. Heisst das aber auch, dass wir all diese Aussagen nicht ernst zu nehmen brauchen?
Viel eher ist es doch so, dass gerade für die ernsten Erfahrungen und Einsichten die wörtlich zu nehmende Sprache nicht ausreicht. So nehmen wir die bildhafte oder gleichnishafte Sprache zu Hilfe oder verwenden Wörter und Sätze im übertragenen Sinn. Das hat es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben.

Das gilt auch für die Zeiten und Kulturen, in denen die Bibel geschrieben wurde. Die Bibel hat etwas Ernstes und Wichtiges zu sagen und sie möchte in diesem Sinne auch ernst genommen werden. Ja, fast könnte man sagen: Je bildhafter die Redeweise, desto dringlicher die Aufforderung an uns, sie ernst zu nehmen und diesen Ernst auch auf uns wirken zu lassen.

Nur ein kleines Beispiel. In Psalm 18 sagt der Beter: „…mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ Klar, dass das nicht wörtlich zu nehmen ist! Was soll das für einen Sinn machen, mit Gott Mauern zu überspringen? Der Beter ist überzeugt, dass ihm im Vertrauen auf Gott – „mit Gott“ – nichts unmöglich sein wird; er wird sich furchtlos für seine bedrängten Mitmenschen einsetzen, und er wird nie mehr sagen: da kann man nichts machen. Mögen die Schwierigkeiten noch so gross sein, „mit seinem Gott“ ist er zu grösserem fähig als er meint.

So spricht sich der Beter selbst Mut zu und bietet Gott sich selbst als Hilfe an, damit es auf dieser Welt friedlicher und gerechter zugeht. Was der Beter hier zum Ausdruck bringt, ist nicht wörtlich zu nehmen. Viel wichtiger ist, dass wir ihn ernst nehmen und uns anstecken lassen von der Zuversicht, die frei macht und dem Leben Schwung gibt.


Hermann-Josef Venetz

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