samedi 16 juin 2012

Asche oder Feuer?



Als »guter Katholik« berufe ich mich nicht nur auf die Bibel, sondern auch auf die Tradition. Ob ich dabei immer gut beraten bin? Der Komponist Gustav Mahler soll den Theaterleuten zugerufen haben: »Was ihr Tradition nennt, ist nichts anderes als Bequemlichkeit und Schlamperei.« Für den polnischen Philosophen Stanislaw Brzozowski ist das ständige Hochhalten der Tradition nur eine Form unserer geistigen Faulheit.

Das mag zwar übertrieben klingen; Tatsache aber ist: Mit der Berufung auf »Traditionen« – seien sie politischer, religiöser, kirchlicher, gesellschaftlicher Art – machen wir uns die Dinge zu einfach. Pflichtzölibat der Priester, Ausschliessung der Frauen aus den Leitungsgremien der Kirche, lateinische Messe, kirchliche Ämter und vieles mehr… Das sind Traditionen. Wer sich auf Traditionen beruft, kann sich die Argumente ersparen – ein sicheres Zeichen von Bequemlichkeit und Denkfaulheit. Dabei gilt es doch, uns den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen und auf die Not der Menschen heute einzugehen.

Der eingangs zitierte Gustav Mahler hielt auch an dem anderen Wort fest, das wahrscheinlich auf Thomas Morus zurückgeht: »Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Weitergeben des Feuers« – ein Wort, das sich auch Papst Johannes XXIII. zu eigen machte.

Ob manche unserer kirchlichen Traditionen nicht tote Asche bewahren? Oft und oft vermisse ich das Feuer – auch in mir.

Hermann-Josef Venetz

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